In den nährstoffreichen Fjorden Nordeuropas und den kalten Meeren der Arktis verursacht Ozeanversauerung einen Boom an der Basis des Nahrungsgefüges – während größere Phytoplankton-Arten leer auszugehen scheinen. Aber wie reagieren Ökosysteme im nährstoffarmen offenen Ozean, wenn sich mehr Kohlendioxid (CO2) im Wasser löst? Ein Team von 70 Wissenschaftlern aus Deutschland, Spanien, Frankreich, Schweden, Großbritannien, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten ist im Einsatz, um erstmals Auswirkungen der Ozeanversauerung im östlichen subtropischen Atlantik zu untersuchen. Von Ende Januar bis in den April hinein arbeiten sie an der Meeresforschungsstation Plataforma Oceánica de Canarias (PLOCAN) in Taliarte an der Ostküste Gran Canarias. Für das Experiment mit den in Kiel entwickelten KOSMOS-Mesokosmen kooperieren die beiden deutschen Forschungsnetzwerke BIOACID (Biological Impacts of Ocean Acidification, Biologische Folgen der Ozeanversauerung) und SOPRAN (Surface Ocean Processes in the Anthropocene, Prozesse in der Ozeanoberfläche im Anthropozän). BIOACID und SOPRAN werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
„Unsere bisherigen Experimente haben sich auf die besonders produktiven, nährstoffreichen Küstenregionen konzentriert“, berichtet Prof. Ulf Riebesell. Der Professor für Biologische Ozeanografie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel koordiniert das Projekt BIOACID und die KOSMOS Mesokosmen-Experimente. „Aber mehr als zwei Drittel der Weltozeane verfügen nur über geringe Mengen an Nährstoffen und damit auch über eine geringere Produktivität. Um belastbare Aussagen über das Leben im Ozean der Zukunft treffen zu können, müssen wir mehr darüber lernen, wie diese oligotrophen Ökosysteme auf Ozeanversauerung reagieren.“ Nährstoffarme Regionen werden von kleinem Phytoplankton, dem Pikoplankton dominiert. Da das Pikoplankton in vorangegangenen Untersuchungen besonders stark auf CO2-bedingte Versauerung ansprach, erwarten die Wissenschaftler massive Auswirkungen an der Basis der marinen Lebensgemeinschaft.
Das deutsche Forschungsschiff POSEIDON brachte im Januar 2014 mehr als 24 Tonnen Ausrüstung für das Experiment nach Gran Canaria. Am 2. Februar wurden neun Mesokosmen in der Melenara-Bucht nahe des Hafens von Taliarte verankert. Die „Riesen-Reagenzgläser“, von denen jedes einzelne 55 Kubikmeter Wasser einschließt, werden jetzt auf Kohlendioxid-Niveaus gebracht, die Werten von heute bis ins Jahr 2100 entsprechen. Bis Mitte April messen Biologen, Chemiker, Biogeochemiker und Physikalische Ozeanografen darin 50 unterschiedliche Parameter. Proben werden in den Laboren des PLOCAN weiter verarbeitet und für Analysen in den Heimat-Instituten vorbereitet.
„In diesem Jahr kooperieren wir mit einer örtlichen Aquakultur-Anlage, um Larven der Dorade aufzuziehen und in die Mesokosmen einzusetzen. Außerdem werden Seeigel gesammelt und Eier befruchtet, so dass wir unseren Versuchswelten zwei höherstehende Arten hinzufügen können. Dies haben wir im vergangenen Jahr erstmals in einem Experiment versucht und viel über Folgereaktionen entlang der Nahrungskette erfahren“, berichtet Riebesell.
Als Neuerung simulieren die Forscher natürliche Düngungsmechanismen, die für diese Region typisch sind – etwa den Auftrieb nährstoffreichen Tiefenwassers vor den Kanarischen Inseln. „Die POSEIDON kommt Ende Februar zurück, um uns hierbei zu unterstützen“, so Riebesell. „Mit einem 80 Kubikmeter großen Kunststoffsack gewinnen wir Tiefenwasser und speisen unsere Mesokosmen damit, um solch ein Auftriebsereignis zu simulieren.“ Die Nährstoff-Einträge kurbeln die Produktivität im nährstoffarmen Ozeans an. Bisher ist jedoch völlig unklar, wie sich derartige Produktivitäts-Schübe im saureren Wasser entwickeln und wie dies das marine Nahrungsnetz beeinflusst.
Die Kampagne 2014 vor Gran Canaria ist die fünfte in einer Serie von Freiland-Studien mit den Kieler KOSMOS Mesokosmen. „Unser Experiment im Kanaren-Stromsystem vervollständigt die umfangreiche Datensammlung zu Folgen der Versauerung für den pelagischen Ozean, die wir in den vergangenen fünf Jahren zusammengetragen haben“, fasst Riebesell zusammen. „Sobald die Zusammenstellung komplett ist, haben wir den ausführlichsten Datensatz zu Reaktionen des Ökosystems auf zukünftige Veränderungen im Ozean. Forscher werden noch einige Jahre benötigen, um dieses Set an Messungen zu interpretieren. Aber es ermöglicht neue Einblicke und ein tieferes Verständnis für die Folgen des globalen Wandels für marine Ökosysteme und die Dienstleistungen, welche die Meere für den Menschen erbringen.“
Links:
BIOACID
SOPRAN
Blog zum KOSMOS 2014 GC Experiment
Beteiligte Institutionen:
Universität Las Palmas de Gran Canaria, Spanien
Universität La Laguna, Spanien
Universität Barcelona, Spanien
Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven, Deutschland
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Deutschland
GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Deutschland
Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW), Deutschland
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnefischerei (IGB), Berlin, Deutschland
Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz, Deutschland
Bigelow Laboratory, Maine, USA
Centre de Recherche et d’Enseignement de Géosciences de l’Environnement (CEREGE), Paris, Frankreich
Royal Netherlands Institute for Sea Research (NIOZ), Niederlande
Universität Edinburgh, Großbritannien
Universität Göteborg, Schweden
Kontakt:
Prof. Dr. Ulf Riebesell (GEOMAR, FB2-BI)
uriebesell@geomar.de
Maike Nicolai (GEOMAR Communication & Media)
Tel.: +49(0)431 600-2807
mnicolai@geomar.de
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