In einer neuen Studie zeigt eine Gruppe von Forschern aus Deutschland, Frankreich, Österreich, Kanada und den USA unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel mithilfe von ozeanographischer Modellierung und genetischen Analysen an Muscheln der Gattung Bathymodiolus, dass es viele, bisher nicht entdeckte Hydrothermalquellen als Zwischenstationen geben muss. Die Studie erscheint heute in der internationalen Fachzeitschrift Current Biology.
Riesige blumenartige Röhrenwürmer, fußlange Muscheln, gepanzerte Schnecken, geisterhaft anmutende Fische ― dieses sind nur einige Beispiele für die einzigartige Artenvielfalt an heißen Quellen in der Tiefsee, auch Hydrothermalsysteme oder „Schwarze Raucher“ genannt. Die Entstehung dieser Ökosysteme ist an tektonische oder vulkanische Aktivität im Ozeanboden gebunden. Einzelne Hydrothermalfelder liegen oft sehr isoliert in der sonst vergleichsweise lebensarmen Tiefsee. In vielen Fällen, wie zum Beispiel am Mittelatlantischen Rücken, sind sie sogar mehrere hundert bis tausende von Kilometern voneinander entfernt. Viele Tiere, die an Hydrothermalschloten wohnen, sind im erwachsenen Stadium am Untergrund festgewachsen. Daher können nur ihre Larven von einem Standort zum anderen gelangen.
Wie so ein Austausch zwischen verschiedenen Populationen möglich ist, blieb Wissenschaftlern bisher ein Rätsel ― nicht zuletzt, weil die Untersuchung der Larvenverteilung im Ozean praktisch unmöglich ist. Eine internationale Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland, Frankreich, Österreich, Kanada und den Vereinigten Staaten unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel veröffentlichte heute in der internationalen Fachzeitschrift Currrent Biology eine Studie, die neues Licht auf dieses Phänomen wirft.
„Um den Austausch zwischen verschiedenen Hydrothermalfeldern am Mittelatlantischen Rücken zu erfassen, haben wir eine Kombination aus hochauflösenden genetischen Analysen und Computersimulationen der Larvenverteilung verwendet. Als Beispielorganismus haben wir Muscheln der Gattung Bathymodiolus gewählt, da diese Tiere Schlüsselarten in Hydrothermalökosystemen sind“, sagt Dr. Corinna Breusing vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, Erstautorin der Studie.
Für die beteiligten Ozeanographen war die Studie eine echte Pionierarbeit. „In der Tiefsee gibt es so gut wie keine Messdaten zu Strömungsmustern. Wir mussten mehrere Ozeanmodelle und Codes anpassen, bis wir schließlich eine realistische Simulation für die Verdriftung der Larven erhalten haben“, erläutert Prof. Dr Arne Biastoch vom GEOMAR. Spannend sei für ihn auch gewesen, dass die Modellierungsdaten anschließend mit molekularbiologischen Analysen untermauert wurden – „Das ist eine Kombination, die nur selten angewendet wird“, sagt Biastoch.
Insgesamt hat das Team mehr als drei Jahre an der Studie gearbeitet, die für Corinna Breusing Teil ihrer Doktorarbeit in der transatlantischen Graduiertenschule HOSST war. Da bisher keine geeigneten genetischen Daten für Bathymodiolus existierten, musste die Arbeitsgruppe auch die molekularen Marker für die Analyse der Verwandtschaftsverhältnisse selbst entwickeln. So haben die Autoren herausgefunden, dass es zwar einen Austausch zwischen den bisher bekannten Muschelpopulationen gibt. Dieser scheint jedoch nicht direkt innerhalb einer Generation zu erfolgen, weil die Muschellarven normalerweise nicht weiter als 150 Kilometer verdriften.
„Im Umkehrschluss heißt das, dass es unentdeckte Hydrothermalquellen oder ähnliche Lebensräume am Mittelatlantischen Rücken geben oder gegeben haben muss, die als eine Art Zwischenstopp dienen und somit die Verbindung der Populationen ermöglichen. Wir bezeichnen diese Habitate als Phantomtrittsteine, da wir nicht wissen wo sie sind oder wie sie beschaffen sind“, sagt Prof. Dr. Thorsten Reusch vom GEOMAR, der die Arbeit betreut hat.
Die Resultate von Breusing und ihren Kollegen sind auch deshalb relevant, weil an Hydrothermalökosysteme spezielle Sulfidablagerungen vorkommen. Sie werden als mögliche mineralische Rohstoffquelle für die Zukunft diskutiert. „Sollte der Abbau dieser Massivsulfiden Realität werden, müssen geeignete Schutzzonen errichtet werden, die die Wanderungsstrecken der hochspezialisierten Bewohner der heißen Quellen berücksichtigen“, sagt Dr. Breusing, „Wir hoffen, dass unsere Studie einen Impuls zu weiteren Forschungen an anderen Organismen und geographischen Regionen gibt, damit ausreichend Informationen gesammelt werden können, um effektive Schutzpläne zu erstellen.“
Originalarbeit:
Breusing, C., A. Biastoch, A. Drews, A. Metaxas, D. Jollivet, R. C. Vrijenhoek, T. Bayer, F. Melzner, L. Sayavedra, J. M. Petersen, N. Dubilier, M. B. Schilhabel, P. Rosenstiel, T. B. H. Reusch (2016): Biophysical and Population Genetic Models Predict the Presence of “Phantom” Stepping Stones Connecting Mid-Atlantic Ridge Vent Ecosystems. Current Biology, 26, 1-11,
http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2016.06.062
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