Bereits heute nimmt der Ozean rund ein Viertel des vom Menschen ausgestoßenen Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre auf – mit weitreichenden Folgen für die chemische Zusammensetzung des Meerwassers und die Lebenswelt vieler mariner Organismen. In einer kürzlich im Fachmagazin Global Biogeochemical Cycles erschienenen Studie haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel sowie weiteren internationalen Partnern aus den USA, Neuseeland und Großbritannien überraschende Erkenntnisse über am Meeresboden lebende (benthische), kalkbildende Organismen gewonnen. In die Studie sind die Daten von mehr als 100 marinen Benthos-Organismen, von der Küstenzone bis zur Tiefsee, von tropischen, gemäßigten und polaren Regionen, in die Untersuchungen eingeflossen.
Löst sich Kohlendioxid (CO2) im Meer, verändern sich die chemischen Parameter. Der pH-Wert sinkt und das Wasser wird saurer. Die Ozeanversauerung gehört damit zu den wichtigsten Forschungsbereichen, wenn es um die Auswirkungen des CO2-Ausstoßes auf benthische, kalkbildende Meeresorganismen und den Lebensraum Ozean geht. Viele Organismen nehmen Magnesium für den Bau ihrer Kalkskelette auf. Sie gelten dabei als besonders anfällig für die Auswirkungen von saurer werdendem Meerwasser. Im Gegensatz zu Kalzit oder Aragonit löst sich Magnesium in einer sauren Umgebung besonders schnell auf. Die Analyse der chemischen Lebensbedingungen der Organismen ergab jetzt, dass 24 Prozent und damit fast ein Viertel der analysierten Arten bereits heute in einer Umgebung leben, die sich ungünstig auf den Erhalt ihres Kalkskelettes auswirkt. Dieser Zustand wird Kalziumkarbonat (CaCO3)-Untersättigung genannt. „Das Ergebnis hat uns mehr als überrascht und ist für uns ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sich viele marine Organismen sehr wohl im Laufe ihrer physiologischen und evolutionären Entwicklung an das saure Meerwasser anpassen und darin leben können“, ordnet der Erstautor der Studie Dr. Mario Lebrato vom Institut für Geowissenschaften an der CAU die Beobachtungen ein.
Für ihre Untersuchung hat das internationale Forscherteam einen verbesserten Indikator (ΩMg-x) bestimmt. Dieser beschreibt einen für verschiedene Meeresorganismen individuellen Sättigungsgrad von Magnesium im Meerwasser. Mit ihm kann der Sättigungsgrad des Meerwassers im Verhältnis zum Magnesiumgehalt verschiedener Organismen individuell bestimmt werden. Bisher konzentrieren sich die meisten Untersuchungen auf Kalzit oder Aragonit als Indikatoren für die Bildung von Kalkskeletten oder Kalkschalen unter bestimmten chemischen Verhältnissen. „Dadurch, dass wir den Sättigungsgrad des Meerwassers jetzt für jeden einzelnen Organismus mit Hilfe ihres Magnesiumgehaltes berechnen können, erschließt sich uns deren potentielle Gefährdung durch Ozeanversauerung. In unseren Berechnungen berücksichtigen wir Faktoren der natürlichen Lebensumgebung wie Tiefe und Temperatur“, so Lebrato weiter.
Trotzdem argumentieren die Forschenden, dass vorherige Schwellenwerte für risikobehaftete Organismen durchaus zutreffen könnten. Im Allgemeinen wird ein nominaler Wert von 1 als Anfangspunkt einer Auflösung, also „Risiko“ für den Organismus genutzt. Dieser Wert könnte aber für bestimmte Organismen nicht ausschlaggebend sein, da sie sich schon in dieser Umgebung entwickelt und an sie angepasst haben. Entsprechend sind weitere Forschungsarbeiten zur Löslichkeit von Magnesiumkalzit geplant, um zu verstehen, wie Organsimen mit bestimmten Bedingungen von Meereswasser umgehen. Der überraschend hohe Wert derjenigen Organismen am Meeresboden, die sich bereits an die veränderten, saureren Lebensbedingungen angepasst haben, scheint auf neuartige Anpassungsmechanismen von Arten hinzudeuten. So gab die Studie keine Einsichten in die allgemeine Anfälligkeit von Organismen in untersättigten Lebensbedingungen.
Offen ist auch die Frage, wie sich die übrigen 76 Prozent der Organismen, die sich noch nicht in saureren Bedingungen befinden, entwickeln werden, wenn die Folgen der Ozeanversauerung auch ihre Lebensräume erfassen. Weitere Aufschlüsse dazu erhoffen sich die Forschenden von der Untersuchung von Schwellenwerten aus Zeiten, als sich das Ozeanwasser entsprechend veränderte und sich Organismen allmählich daran anpassen mussten. Diese Untersuchungen sollen mit weiteren Feld- und Laborexperimenten kombiniert werden.
Diese Studie wurde im Rahmen des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel durchgeführt.
Originalpublikation:
Lebrato, M., Andersson, A. J., Ries, J. B., Aronson, R. B., Lamare, M. D., Koeve, W., Oschlies, A., Iglesias-Rodriguez, M. D., Thatje, S., Amsler, M., Vos, S. C., Jones, D. O. B., Ruhl, H. A., Gates, A. R. and McClintock, J. B. (2016), Benthic marine calcifiers coexist with CaCO3-undersaturated seawater worldwide Global Biogeochemical Cycles.
DOI 10.1002/2015GB005260
Kontakt:
Dr. Mario Lebrato
Institut für Geowissenschaften
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
mlebrato13@gmail.com
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