28. Februar 2017 Wie der Begriff „Fracking“ eine ganze Infrastruktur öffentlich sichtbar machte

Wie der Begriff „Fracking“ eine ganze Infrastruktur öffentlich sichtbar machte

Forschungsprojekt im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ rekonstruiert die Politisierung der konventionellen Erdgas- und Erdölförderung durch den Fracking-Konflikt

Innovationen in einem Verfahren zur Förderung von unkonventionellem Erdgas- und Erdöl ermöglichten es den Vereinigten Staaten ab Mitte der 2000er Jahre, sich als Energieselbstversorger zu begreifen. Gegen diese Expansion durch „hydraulische Frakturierung", so der einstige Fachbegriff, formierte sich bald eine Protestbewegung.

 

Die in den USA formulierte Kritik verbreitete sich schnell, unter anderem durch den im Jahr 2011 für einen Oscar nominierten Dokumentarfilm „Gasland". Überall dort, wo Industrie und Regierungen planten, die Förderung nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten auszuweiten, entstanden Anti-Fracking-Bewegungen – auch in Deutschland. So ist die lokale Erdgas- und Erdölförderung in Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu einem Schauplatz eines gesellschaftlichen Konflikts geworden. Dieser Konflikt unterscheidet sich in seiner Breite und Dauer von früherer Kritik an Elementen der Erdgas- und Erdölinfrastruktur, etwa der in den 1990er Jahren formulierte Kritik an der einzigen deutschen Bohrinsel Mittelplate nördlich der Elbmündung im Nationalpark Wattenmeer.

Im Rahmen eines vom Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft" geförderten zweijährigen Forschungsprojektes ging nun die Politikwissenschaftlerin Dr. Stefanie Wodrig vom Institut für Sozialwissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) der Frage nach, wie der Fracking-Konflikt die Erdöl- und Erdgasinfrastruktur in Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie die Prozesse auf Bundesebene verändert hat. Erst durch die Verbreitung des Begriffs „Fracking", so das Ergebnis der Diskursanalyse, wurde die komplexe Erdgas- und Erdölinfrastruktur öffentlich sichtbar und eine neue Wissensordnung etabliert.

Für ihre Diskursanalyse hat Stefanie Wodrig einen umfassenden Textkorpus von mehr als 700 Dokumenten ausgewertet. Seit 2011 haben sich viele gesellschaftliche Kräfte zu Wort gemeldet und dadurch analysierbares Textmaterial produziert. So war „Fracking" ein häufiges Thema in den jeweiligen Landtagen und im Bundestag. Aber nicht nur dort: Bürgerinitiativen entstanden vielerorts und meldeten sich in zahlreichen Stellungnahmen zu Wort, die sie auf extra dafür eingerichteten Web- oder Social Media-Seiten veröffentlichten. Viele kommunale Organe bezogen ebenfalls Position, debattierten lokale Projekte in ihren Gemeinde- und Kreisräten und beschlossen Resolutionen dagegen, obgleich das Thema nicht zu den kommunalen Aufgaben gehört. Eine weitere Quelle öffentlicher Wortmeldungen waren Verbände und Unternehmen. „Diese gesellschaftliche Polyphonie zeugt von einem politisierten öffentlichen Raum, der sich stark von der Situation vor 2011 unterscheidet", stellte die Politikwissenschaftlerin Stefanie Wodrig im Rahmen ihrer Analyse fest. „Bis dahin war die Erdgas- und Erdölinfrastruktur kaum öffentlich sichtbar und auch über Bohrlöcher, Förderanlagen, administrative Praktiken und Unfälle wurde selten berichtet."

Die geringe öffentliche Präsenz des Themas vor 2011 deutet bereits einige Forschungsergebnisse an: Es konnte nachgezeichnet werden, wie die in den USA entstandene Debatte um (Schiefergas-) Fracking die bis dahin „alltägliche" norddeutsche Erdgas- und Erdölinfrastruktur politisierte. Der Begriff „Fracking" funktionierte als eine globalisierte Begründungsfigur, um Kritik an der damaligen Infrastruktur zu formulieren. Es machte die komplexe Infrastruktur somit erst fassbar. „In der öffentlichen Meinung wurden nun auch Unfälle oder andere Störungen mit dem Begriff „Fracking" in Verbindung gebracht. Die einstige Bedeutung des Begriffs, nämlich das spezielle Bohrverfahren selbst, trat deutlich in den Hintergrund", resümiert Wodrig. Im Zuge dieser öffentlichen Sichtbarmachung der Infrastruktur gerieten bestehende Institutionen, Wissensordnungen und Akteure in die Kritik und wurden hinterfragt.

Ein wichtiges Ergebnis dieses Projekts ist die veränderte Wissensordnung, die der Infrastruktur zu Grunde liegt. Diese veränderte Wissensordnung drückte sich im Dezember 2016 in einer Stellungnahme des schleswig-holsteinischen Ministeriums für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (MELUR) zu den beantragten Explorationsbohrungen nahe der bereits existierenden Bohrinsel Mittelplate im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer aus. Während vor dem Fracking-Konflikt der Staat nur wenig Handlungsspielraum hatte, Förderanträge abzulehnen, verweigerte das MELUR nun die Genehmigung mit der Begründung, das Nationalparkrecht sei in diesem Fall gewichtiger als die Ausweitung der Rohstoffforderung (http://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/V/Presse/PI/2016/1216/MELUR_161219_Exploration_Wattenmeer.html).

Kontakt

Dr. Stefanie Wodrig,
Institut für Sozialwissenschaften,
Arbeitsbereich Internationale Politische Soziologie,
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel,
E-Mail: wodrig@ips.uni-kiel.de
https://www.ips.uni-kiel.de/de/personen/wimi/stefanie-wodrig



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Bohrinsel Mittelplate im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer
Foto: Stefanie Wodrig, Institut für Sozialwissenschaften, CAU Kiel