Die Herausgeber - Heinrich-Böll-Stiftung, der Kieler Forschungsverbund Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft" und die Monatszeitung für internationale Politik, Le Monde Diplomatique - haben in 18 Beiträgen die wichtigsten Dimensionen zur Wechselwirkung zwischen den Menschen, dem Ozean und seiner Küsten zusammengetragen. Gemeinsam fordern sie ein Umdenken und ein umfassendes internationales Kontroll- und Schutzsystem für die Ozeane.
Die Meere der Erde kommen durch zunehmende menschliche Eingriffe unter Druck und das dort lebende Ökosystem wandelt sich zum Teil rapide. Mit ihrer Fähigkeit, bis zu 27% des ausgestoßenen CO2 und zugleich 93% der globalen Erderwärmung aufzunehmen, dämpfen die Ozeane die menschengemachte Klimaerwärmung. Mittlerweile lässt sich die Erwärmung sogar in der Tiefsee dokumentieren, und das extra aufgenommene CO2 lässt die Meere versauern. Das hat messbare Folgen: Die Abnahme des pH-Werts (Versauerung) in einzelnen, besonders produktiven Ozeanregionen übertraf 2017 bereits die Prognose für den globalen Ozean im Jahr 2100. Hier kann die fortschreitende Versauerung schon in kürzester Zeit tiefgreifende Auswirkungen auf die Nahrungsketten haben.
Zudem sind 58% der globalen Fischbestände maximal genutzt, 31% sind sogar überfischt und bei nur 10% ist noch Luft nach oben. Manche Bestände von Speisefischen wie Schwertfisch, Hai oder Kabeljau sind bereits um bis zu 90% geschrumpft. Einzelne Tiergruppen wie Wale, Seeschildkröten oder viele Rifffische sind bedroht oder stehen vor dem Aussterben. Zugleich hat sich bei fast gleichbleibendem Wildfischfang der Konsum von Fisch aus Aquakulturen in knapp 30 Jahren mehr als vervierfacht. Heute kommt jeder zweite Speisefisch aus der Aquakultur – und verschärft in der Regel das Problem: Zuchtfische in Aquakultur verbrauchen bis zu 20 kg Wildfisch pro kg Eigengewicht.
Martin Visbeck, Sprecher des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft" sagte bei der Vorstellung des Meeresatlas: „Der Ozean als entscheidender Klimaregulierer der Erde verändert sich durch den menschengemachten Klimawandel merkbar. Er wird wärmer, der Meeresspiegel steigt und die CO2-Aufnahme der Meere führt zur Versauerung - dazu kommt der Verlust an gelöstem Sauerstoff. Die Summe der Stressoren trägt zur Beeinträchtigung der Lebensgrundlage für Fische und andere Meeresbewohner bei. Die Erwärmung und der Schmelzwassereintrag wird zu Strömungsveränderungen führen, die das weltweite Klima beeinflussen: Überschreiten wir dabei Kipppunkte kann sich das regionale Klima unwiederbringlich verändern – mit deutlichen Folgen für die Küsten und Lebensräume der Meeresökosysteme und Menschen. Die gute Nachricht ist: Es liegt in unserer Hand, katastrophale Entwicklungen zu verhindern. Zum ersten Mal erhalten mit dem nachhaltigen Entwicklungsziel (SDG) 14 explizit der Ozean und darin vor allem die verantwortungsvolle Nutzung der Meeresressourcen eine Stimme auf der weltweiten Agenda zur Entwicklung für mehr Nachhaltigkeit. Hier setzt unsere Forschung in Kiel ein. Wir wollen mit wissensbasierten Lösungsansätzen dazu beitragen, gesunde Meeres- und Küstenökosysteme zu erhalten."
Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, sagte: „Die Meere stehen unter einem beispiellosen Druck menschlicher Eingriffe – doch es gibt kein umfassendes internationales Regime, das die gleichzeitigen Bedrohungen wie Verschmutzung, Vermüllung durch Plastikabfälle oder Überfischung verbindlich adressiert. Nur 4,3% der Meeresflächen stehen unter Schutzregelungen, davon sind gerade einmal 1,9% stark geschützte Zonen. Die Ozeane gehören zu den am wenigsten global geschützten Ökosystemen und verantwortungsvoll verwalteten Gebieten der Erde. Das ist angesichts der Bedeutung der Meere für das Klima, unsere Ernährung und die Artenvielfalt verantwortungslos. Statt wirksamen Schutz des „gemeinsamen Erbes der Menschheit" treiben die Staaten ihre maritimen Hoheits- und Nutzungsgebiete weiter ins Meer hinein – in 35 Jahren haben Erweiterungen der Gebiete mit exklusivem Nutzungsrecht des Meeresbodens das internationale Meeresgebiet von 70% auf 43% des Meeresbodens reduziert. Die größten Eingriffe drohen nun durch Tiefseebergbau. Die Rohstoffgewinnung am Meeresgrund zerstört das fragile Ökosystem dort auf Dauer, ohne dass wir die Auswirkungen dieser Zerstörung auf das komplexe Gesamtsystem Meer und somit auch auf Klima und Land nur im Ansatz begreifen würden. Alleine seit 2013 hat die Internationale Meeresbodenbehörde 14 neue Explorationslizenzen für die freien Meere erteilt, soviel wie in den 12 Jahren zuvor. Auch die Bundesrepublik hat im Zentralpazifik Explorationslizenzen für ein Gebiet von 85.000 km2 Tiefseeboden – das ist ein Viertel der Fläche Deutschlands. Bereits in den nächsten Jahren beginnt der Abbau in einzelnen Pazifikstaaten. Die allerdringlichsten Schritte sind jetzt: Ein globales Moratorium für Rohstoffgewinnung und Tiefseebergbau, bis potentielle Folgen und notwendige Grenzen geklärt sind. Außerdem ist eine internationale Plastikkonvention unerlässlich, die umfassend auf Vermeidung an Land setzt und den Eintrag von Plastikmüll ins Meer verhindert.
Insgesamt ist das globale politische System für den Schutz, das Management und die nachhaltige Nutzung der Meere heute völlig unzureichend. Es ist institutionell zerstückelt und wird unzureichend umgesetzt. Es braucht deshalb einen übergreifenden Regierungsmechanismus mit effektiven Sanktionsmöglichkeiten. Die Vereinten Nationen haben mit der Agenda 2030 und besonders mit dem Entwicklungsziel (SDG) 14 einen hervorragenden Ausgangspunkt geschaffen, damit der Schutz und die sozial-ökologische Nutzung der Ozeane endlich politische Priorität erhält. Meeresschutz steht auch auf der Agenda der deutschen G20 Präsidentschaft. Hier müssen die reichsten Industrie- und Schwellenländer, die die Hauptverantwortung für den schlechten Zustand der Meere tragen, endlich politische Weichen für einen wirklichen Meeresschutz stellen."
Dirk Scheelje, Vorstand Landesstiftung Schleswig-Holstein sagte: „Vermüllung und Verschmutzung bringen unsere Meere an ihre Grenzen. Acht Millionen Tonnen Plastikmüll landen jedes Jahr im Meer und belasten als unsichtbares Mikroplastik Tiefsee und Meeresböden. Doch aus den Augen ist nicht aus dem Sinn: Giftbelastetes Mikroplastik wird von Fischen aufgenommen und gelangt so über unsere Teller auch in unsere Mägen. Der internationale Welthandel von neun Milliarden Tonnen auf 90.000 Schiffen jährlich belastet die Ozeane zusehends mit Ölresten und Abgasemissionen ebenso wie der Kreuzfahrt-Tourismus, der immer weiter in abgelegene Regionen vorstößt: Seit 1980 hat sich die Zahl der Schiffsreisenden von zwei auf 24 Millionen verzwölffacht. Die Ballung des Küstentourismus verursacht über Bebauung, Abwässer und Verkehr massive Schäden an den Küstenmeeren – allein die Mittelmeerküsten nehmen ein Drittel der weltweiten Touristenströme auf. Meeres- und Küstentourismus muss also zwingend nachhaltiger gestaltet werden, wenn wir die Meere und Küsten auch für die folgenden Generationen als Erholungs- und lebenswerte Räume erhalten wollen."
Der Meeresatlas bietet auf 50 Seiten und in rund 80 Grafiken Daten, Fakten und Zusammenhänge über unseren Umgang mit dem Ozean. Der Meeresatlas wird kostenlos ausgegeben und auf Anfrage Bildungseinrichtungen als Unterrichtsmaterial klassensatzweise zur Verfügung gestellt.
Neben der deutschen Fassung ist die Ausgabe auch in englischer Sprache erhältlich.
Hier geht es zur Webseite des Meeresatlas: https://meeresatlas.org
Weitere Informationen und Grafiken unter:
www.boell.de/meeresatlas
Pressekontakt
Michael Alvarez Kalverkamp
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Friederike Balzereit
Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft"
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