13. Juni 2017 Die Haut des Ozeans



Neue interdisziplinäre Studie von Kieler Meeresforschenden fordert neuen integrativen Forschungsansatz zur Untersuchung der Grenzschicht zwischen Ozean und Atmosphäre.

An der Grenze zwischen Ozean und Atmosphäre liegt eine nur wenige Mikrometer dünne Schicht wie eine Haut auf dem Ozean und nimmt damit etwa 70 Prozent der Erdoberfläche ein. Diese Schicht, die so genannte „Sea Surface Microlayer", unterscheidet sich in vielen physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaften von denen im Meer darunter und denen der darüber liegenden Atmosphäre.

 

Was genau diese Unterschiede hervorruft und welche Konsequenzen sich aus ihnen ergeben, ist bis heute noch weitgehend unbekannt. Dabei beeinflusst die ‚Microlayer' maßgeblich die Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre. Beim Austausch von Gasen wie Sauerstoff und Kohlendioxid zwischen Luft und Wasser, der Aufnahme von Nähr- und Schadstoffeinträgen aus der Luft, selbst bei der Bildung von Wolken über dem Ozean übt die ‚Microlayer' eine Kontrollfunktion aus. Die Erforschung dieser Grenzschicht zwischen Ozean und Atmosphäre ist komplex und erfordert eine enge Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen aus der Ozean- und Atmosphärenforschung, einschließlich der Biologie, Chemie und Physik. In einer neuen Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift Frontiers in Marine Science erschienen ist, hat ein interdisziplinäres Autorenteam nun die Herausforderungen und Forschungsbedarfe für ein besseres und integratives Verständnis der ‚Sea Surface Microlayer' und deren Einfluss auf die Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre zusammengefasst. Die Studie beruht auf den Ergebnissen eines internationalen Expertenworkshops des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft" im Semesterthema „Grenzflächen im Ozean – Kleinskalige Prozesse mit globaler Wirkung". Der Workshop fand im Juli 2015 an der Universität Kiel statt.

Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Ozean- und Atmosphärenforschung diskutierten in dem Kieler Workshop die Rolle der ‚Microlayer' für die korrekte Beschreibung von Gasaustausch- und Wolkenbildungsprozessen und wie Organismen in einem Lebensraum existieren können, der geprägt ist von hoher Strahlung, Wellengang und extremen osmotischen Wechseln.
„Es gibt viele Herausforderungen beim Studium der ‚Sea Surface Microlayer'", merkt Prof. Anja Engel, Erstautorin der Studie und biologische Ozeanografin am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel an. „Eine haarfeine Oberflächengrenzschicht im offenen Ozean zu untersuchen, erfordert Methoden, die auf Forschungsfahrten nicht alltäglich sind", so Engel weiter. Im Schlauchboot und gegen den Wind gerichtet, wird die Grenzschicht auch bei höherem Wellengang mithilfe einer Glasplatte oder eines Metallsiebes von der Meeresoberfläche abgezogen. Den Einfluss der ‚Microlayer' auf den Gastaustausch und die Aerosolbildung zu bestimmen ist daher eine technologische wie auch wissenschaftliche Herausforderung, in die verschiedene Disziplinen eingebunden werden müssen.

„Die Wissenschaft wird sich in Zukunft genau dieser Herausforderung der stärkeren integrativen Zusammenarbeit stellen müssen, wenn sie Wechselwirkungen und Rückkopplungsprozesse zwischen Ozean und Atmosphäre in Zeiten des Klimawandels besser verstehen und vorhersagen will", sagt Professor Gernot Friedrichs von der Kieler Christian-Albrechts-Universität und einer der Mitorganisatoren des Expertenworkshops.

Die Autoren der Studie schlagen daher einen Katalog an neuen Prioritäten und Strategien für die Erforschung und deren Umsetzung vor. Große Hoffnungen setzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei auf neue Technologien in der Fernerkundung und auf Zeitserien-Messungen. „Um die natürlichen Schwankungen der Prozesse an und in ‚Microlayer' zu erfassen, benötigen wir Messungen verschiedenster Parameter möglichst zeitgleich und am gleichen Ort. Leider gibt es weltweit bislang noch keine Station im Ozean an der Zeitreihen mit Messungen der Eigenschaften und Prozesse der ‚Microlayer' als Grenzschicht zwischen Ozean und Atmosphäre mitberücksichtigt werden", so Professorin Engel.

Der Kieler Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft" veranstaltet regelmäßig so genannte Semesterthemen, in denen sich über alle Disziplinen hinweg Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den unterschiedlichen Fachbereichen und Institutionen zu einem spezifischen Thema vernetzen und über gemeinsame Forschungsfragen austauschen. Das Semesterthema „Grenzflächen im Ozean – Kleinskalige Prozesse mit globaler Wirkung" wurde federführend von Professor Gernot Friedrichs vom Institut für Physikalische Chemie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und Professor Hermann Bange vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel im Sommersemester 2015 durchgeführt. Im Rahmen des Semesterthemas wurden zahlreiche öffentliche und wissenschaftliche Veranstaltungen organisiert.

Originalpublikation
Engel A, Bange HW, Cunliffe M, Burrows SM, Friedrichs G, Galgani L, Herrmann H, Hertkorn N, Johnson M, Liss PS, Quinn PK, Schartau M, Soloviev A, Stolle C, Upstill-Goddard RC, van Pinxteren M and Zäncker B (2017) The Ocean's Vital Skin: Toward an Integrated Understanding of the Sea Surface Microlayer. Front. Mar. Sci. 4:165.
https://doi.org/10.3389/fmars.2017.00165

Links
www.futureocean.org/semester_topics/sose_2015/de/
(Überblick über alle Veranstaltungen im Future Ocean Semesterthema "Grenzflächen im Ozean")
www.geomar.de GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
www.ozean-der-zukunft.de Der Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft"

Kontakt

Prof. Dr. Anja Engel
Arbeitsgruppe für Biologische Ozeanografie, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
aengel@geomar.de


Prof. Dr. Gernot Friedrichs
Institut für Physikalische Chemie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
gfriedr@phc.uni-kiel.de

 



Presse-Material


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Schlauchboote werden zur Messung der Haut des Ozeans, einer nur wenigen Mikrometer kleinen Grenzschicht zwischen Ozean und Atmosphäre, eingesetzt.
Foto: Sonja Endres, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel


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Im Schlauchboot und gegen den Wind gerichtet, wird die Grenzschicht auch bei höherem Wellengang mithilfe einer Glasplatte oder eines Metallsiebes von der Meeresoberfläche abgezogen.
Foto: Sonja Endres, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel


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Messungen des Sea Surface Microlayers
Foto: Judith Piontek, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel